Licht

Den Brief, den ich wegschicken möchte, stecke ich mir selber in den Briefkasten und merke es erst, wenn ich meine Post hole. Meinen Einkauf lasse ich bezahlt im Geschäft zurück und bemerke es erst Tage später. Ich verbringe jeden freien Moment im Bett, warte in Stille und Dunkelheit, dass der Tag vergeht, und hoffe, dass für meinen Sohn am Abend noch genug Kraft da ist.

Es wiederholt sich, und ich wiederhole mich. Es sind immer dieselben Kreise meines neuen «Normal», aus denen ich offenbar nicht entfliehen kann. Mache ich zu viel, falle ich ins dunkle Nichts. Es ist bitter und hart.

Und doch bewegt sich etwas. Meine neueste Entdeckung ist, dass sich während meines inhaltsleeren Liegens und Wartens in der Dunkelheit in mir ein innerer Rückzugsort bildet. Und dieser wird, je mehr Zeit vergeht, immer solider und fester. Er ist entstanden, ohne mein aktives Zutun und ohne dass ich es wirklich gemerkt habe.

Diesen Ort kann ich nun aufsuchen, wenn ich maximal reizüberflutet in der Welt strande, wenn ich nicht mehr kann – und dort, ausserhalb von Zeit und Raum, verweilen und warten, bis sich die äussere Welt so verändert, dass ich wieder an ihr teilhaben kann.

Wie das geht? Ich muss die Tore zur Welt – meine Sinne – verschliessen und mich nach innen wenden. Dort liegt das Vertrauen in mich und in die grosse weltliche Ordnung, die mich trägt, egal, wie mir die Welt gerade zu erscheinen vermag. Ich bin sicher und geborgen, frei und ganz. Der Ort, an dem ich dort bin, steht im Kontrast zum Dunkel der geschlossenen Augen: hell, warm und ruhig. Ich bin im Licht.